Das 🇺🇸 #IRA-Paket zur Förderung von Zukunftsindustrien macht 🇪🇺 nervös. Warum ist das so? Was bedeutet gute Industriepolitik eigentlich?
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„Wer bietet mehr?
...Erst China, dann Amerika, jetzt die EU: Plötzlich buhlen alle mit Milliarden-Subventionen um die Hersteller von Batteriezellen, Solarpaneelen und Chips. Auch Deutschland beteiligt sich an dem Wettlauf. Es steht viel auf dem Spiel.
Der Ortstermin am vergangenen Mittwoch im saarländischen Ensdorf war ganz nach Robert Habecks Geschmack. Auf dem Gelände eines früheren Kohlekraftwerks will der amerikanische Chiphersteller Wolfspeed eine Fabrik bauen. Siliziumkarbid-Chips sollen dort entstehen. Mit ihnen soll das Laden von Elektroautos künftig deutlich schneller gehen. Die Fabrik sei ein „Signal für den Aufbau einer grünen Wirtschaft“, freute sich der grüne Bundeswirtschaftsminister. Nachdem die Energiekrise das erste Jahr seiner Amtszeit dominiert hatte, will er jetzt die deutsche Wirtschaft CO2-neutral machen. 2023 werde ganz im Zeichen der Industriepolitik stehen, kündigte er Ende November an. Im Fall Ensdorf bedeutet das: Von den 2 bis 3 Milliarden Euro Investitionssumme dürfte mindestens ein Viertel der Staat übernehmen, sprich: die Steuerzahler.
Von Industriepolitik ist immer dann die Rede, wenn die Politik in der Wirtschaft mitmischt. Wenn sie es nicht dem Markt überlässt, wo welche Produkte entstehen. Chinas kommunistische Führung macht das seit vielen Jahren, steckt Milliarden in den Aufbau von Zukunftsbranchen wie die Elektromobilität, die Robotik und die Künstliche Intelligenz. In Deutschland war diese Politikdisziplin lange verpönt, doch nun ist sie plötzlich im Aufwind. Denn der Druck kommt jetzt auch von der anderen Seite: Mit dem „Inflation Reduction Act“ (IRA) hat die amerikanische Regierung ein 370 Milliarden Dollar großes Förderprogramm für den Aufbau klimafreundlicher Technologien aufgelegt. Weitere Milliarden stehen für Chipfabriken bereit. Zwar gab es auch in der EU in den vergangenen Jahren schon Fördermittel für die Herstellung von Batteriezellen, Mikroelektronik und Wasserstoff. Doch die Dimension des amerikanischen Programms und die Rhetorik, mit der es angekündigt wurde, haben Europa aufgeschreckt. Vor wenigen Tagen stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Antwort auf den Inflation Reduction Act vor. Am Montag fliegt Habeck zu politischen Gesprächen nach Washington, sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire kommt ebenfalls.
Entscheidet sich jetzt, welcher der drei Wirtschaftsblöcke auf der Welt – Amerika, die EU oder China – im nach-fossilen Zeitalter führend sein wird? Und wird es derjenige sein, der das meiste Geld in die Transformation seiner Wirtschaft steckt?
Folgen des US-amerikanischen „Chips and Science Acts“
Für Deutschland steht viel auf dem Spiel: Die Industrie trägt knapp ein Viertel zum Bruttoinlandsprodukt bei, so viel wie in keinem anderen Industrieland. „Es geht nicht um einen Wettlauf mit Amerika“, sagt Franziska Brantner, Habecks Parlamentarische Staatssekretärin. „Ziel ist es, bei uns Innovation und Arbeitsplätze der Zukunft zu stärken und bei den grünen Wertschöpfungsketten zentraler industriepolitischer Akteur zu sein.“ Die Signale, die zuletzt aus der Wirtschaft kamen, haben in Berlin Besorgnis ausgelöst. Der Batteriehersteller Northvolt, der ein Werk in Schleswig-Holstein angekündigt hatte, stellte das Vorhaben wieder auf den Prüfstand. Begründung: die hohen Strompreise in Deutschland. Verzögerungen gibt es auch bei der Batteriefabrik von Tesla im brandenburgischen Grünheide und der Chipfabrik von Intel in Magdeburg. Intel fordert dem Vernehmen nach mehr Subventionen. Für internationale Unternehmen seien das gerade paradiesische Zeiten, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. „Die können jetzt die einzelnen Länder gegeneinander ausspielen.“ Als Votum gegen staatliche Industriepolitik will er diesen Befund aber nicht verstanden wissen: „Wir befinden uns in einem klassischen Gefangenen-Dilemma. Wenn China und die USA Industriepolitik machen, muss Europa das auch tun.“
Die Vereinigten Staaten waren entgegen ihrer eigenen Rhetorik nach dem Zweiten Weltkrieg keine Industriepolitik-Abstinenzler. In der Phase des Kalten Krieges von 1950 bis in die Achtzigerjahre hinein finanzierte die amerikanische Regierung 50 bis 70 Prozent der nationalen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. „Die USA hatten eine der striktesten Industriepolitiken, nur dass sie nicht so genannt wurde. Sie wurde Forschungspolitik genannt“, sagt der Entwicklungsökonom Ha Joon Chang. Das Pentagon war so etwas wie der Geburtshelfer des Silicon Valley. Das Militär gab Geld und Entwicklungsaufträge für jene Branchen, in denen die Vereinigten Staaten bis heute technologische Führung beanspruchen können. Das Pentagon und Militärausrüster kauften bis in die frühen Sechzigerjahre auch die komplette Mikrochipproduktion des Landes, berichtet Leslie Berlin, Historikerin an der Stanford-Universität. Mitte der Achtzigerjahre bekam die Branche zudem eine halbe Milliarde Dollar, um die Qualitäts- und Kostenprobleme in den Griff zu bekommen, die sich gegenüber der ebenfalls staatlich gepäppelten japanischen Konkurrenz offenbart hatten.
Die jüngsten Initiativen stellen die Vorgängerprojekte allerdings in den Schatten. Der frühere Präsident Donald Trump brach gewissermaßen das Eis, als er das Credo der Republikaner verwarf, wonach sich der Staat besser heraushält aus der Wirtschaft. Trump wollte Fabrikarbeitsplätze nach Amerika zurückholen – mit Importzöllen, die vor allem China trafen. Sein Nachfolger Joe Biden von den Demokraten stellte die Industriepolitik ins Zentrum seiner Wahlkampagne „Built Back Better“. Im August 2022 verabschiedete der Kongress schließlich mit den Stimmen beider Parteien den „Chips and Science Act“, der über zehn Jahre Subventionen von 80 Milliarden Dollar für die Halbleiterindustrie und 200 Milliarden Dollar für die Bereiche Quantencomputing, Künstliche Intelligenz, Nanotechnologie und grüne Energie vorsieht. Wer an das Geld will, darf keine Fabriken in China, Russland, Nordkorea oder Iran errichten. Noch sichtbarer wird die Industriepolitik indes im Inflation Reduction Act. Gefördert wird nur, was im eigenen Land gefertigt wird. Selbst die Metalle in den Elektroautobatterien müssen aus Nordamerika oder von einem seiner Freihandelspartner kommen. Die EU gehört nach den gescheiterten TTIP-Verhandlungen nicht zu diesem Kreis.
Ein europäisches Bollwerk gegen China
In Europa konzentrierte sich die Diskussion zunächst darauf, wie europäische Unternehmen in den USA Zugang zu den Fördermilliarden bekommen. Viele Kritikpunkte sind nach den Worten von Franziska Brantner inzwischen gelöst. „Für Leasingfahrzeuge gelten die Local-Content-Regeln nicht“, sagt sie. „Da ein großer Anteil der Fahrzeuge deutscher Hersteller in Amerika im Leasingmodell angeschafft wird, ist das zwar nicht perfekt, aber ganz eindeutig besser als ursprünglich vorgesehen.“ Auch im Bereich Windkraft und Solar seien Ausnahmen vorgesehen. „Ganz so rigide, wie zuweilen der Eindruck herrscht, ist der Inflation Reduction Act nicht.“
Inzwischen geht es aber um viel mehr: Die EU-Chefs fürchten, dass zukunftsträchtige, für die grüne Wende unverzichtbare Industrien wie die Batteriefertigung nach Amerika abwandern. „Der IRA schafft mit seinem leicht und schnell verfügbaren Geld ein ideales Investitionsklima für den Aufbau einer tiefgehenden Batterien-Wertschöpfungskette“, warnte kürzlich in Brüssel der neue Präsident des europäischen Automobilverbands und Vorstandschef von Renault, Luca de Meo. Kurzfristig soll nach den Plänen von der Leyens deshalb eine weitere Aufweichung der schon in der Corona-Krise und wegen des Ukrainekriegs gelockerten Beihilferegeln den Staaten großzügige Hilfen erlauben. Was Unternehmen in anderen Ländern an Subventionen oder Steuerrabatten in Aussicht haben, sollen sie auch in Europa bekommen, ohne langwierige Prüfverfahren. Mittelfristig plant von der Leyen zudem einen europäischen „Souveränitätsfonds“. Der ist als Bollwerk gegen China gedacht. „Das Land dominiert weltweit bei der Produktion von Elektrofahrzeugen oder Solarpaneelen, die für den grünen Wandel entscheidend sind“, warnte die Kommissionspräsidentin beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Innerhalb der Mitgliedstaaten ist ein solcher Fonds umstritten. Kleinere Länder, die nicht die Finanzkraft Deutschlands oder Frankreichs haben, fürchten, ihrerseits abgehängt zu werden. Sie wollen, dass die EU als Gemeinschaft Schulden aufnimmt.
Zurück an die Weltspitze
Der kritische Blick auf Deutschland hat seinen Grund. Mehr als 177 Milliarden Euro sollen nach den Plänen der Ampelkoalition von 2023 bis 2026 für den Klimaschutz ausgegeben werden. Allein 2023 sollen gut 35 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds in die Wirtschaft fließen. In einem umstrittenen Manöver hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach der Wahl 60 Milliarden Euro nicht genutzter Kreditermächtigungen aus der Corona-Zeit in diesen Fonds umgeschichtet. Demnächst will Habeck die ersten sogenannten Klimaschutzverträge mit Unternehmen abschließen, etwa Stahlherstellern. Weil die Produktion mit Wasserstoff teurer ist als die mit Koks und Kohle, will der Staat die Differenz übernehmen. Angedacht ist ein Zeitraum von 15 Jahren.
Mit der Chipförderung verfolgt die Politik eine andere Stoßrichtung. Hier geht es vor allem darum, die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Seit den Erfahrungen mit den fehlenden Masken aus China zu Beginn der Corona-Pandemie und den ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland infolge des Ukrainekrieges ist man in Europa diesbezüglich sensibel. Noch beziehen Auto- und Elektronikhersteller die meisten Chips aus Asien. Der größte Auftragsfertiger heißt TSMC, kommt aus Taiwan und hat einen Marktanteil von knapp 60 Prozent. Doch was, wenn China die aus seiner Sicht abtrünnige Provinz Taiwan angreift und der Chipnachschub versiegt? Beobachter halten diese Gefahr für real.
Doch auch jenseits solcher Krisenszenarien gibt es den Wunsch nach mehr Autonomie. Der im vergangenen Jahr von der EU-Kommission beschlossene „Chips Act“ soll Europa in der Halbleiterfertigung zurück an die Weltspitze bringen. Im Jahr 2030, das ist zumindest der Plan, sollen wieder 20 Prozent aller Chips auf der Welt aus der EU kommen. Binnenmarktkommissar Thierry Breton hat dabei insbesondere hochmoderne Chips kleinster Strukturgrößen im Blick, wie sie Intel in Magdeburg fertigen will. Die Industrie ruft aber auch nach Fördermitteln für die Produktion von Alltagschips und stößt damit im Europaparlament und im Ministerrat auf offene Ohren. Zwar gibt es auch warnende Stimmen wie die der liberalen Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. Doch die Befürworter der Industriepolitik sind derzeit klar in der Mehrheit.
Behält Olaf Scholz seinen Kurs bei?
Das Zurückdrehen der internationalen Arbeitsteilung hat allerdings seinen Preis. „Mehr Produktion vor Ort heißt auch: Die Produkte werden teurer werden“, sagt Ökonom Südekum. Die Mehrkosten für die in Europa gefertigten Chips werden vielleicht bei den vielen Komponenten eines Elektroautos nicht so sehr ins Gewicht fallen. Aber wenn ganze Wärmepumpen, wie von Habeck gewünscht, statt in China in Europa produziert werden, dürfte der Preisunterschied spürbar sein. Gleiches gilt für Standardmedikamente wie Schmerzmittel und Bluthochdrucksenker. Südekum warnt daher: „Die Produktion von Massenware mit Steuermitteln zurück nach Europa zu holen, halte ich für wenig sinnvoll.“ Das Ziel, weniger abhängig von China zu sein, lasse sich auch mit Diversifikation etwa in Vietnam oder Indien erreichen.
Industriepolitik heißt aber nicht nur Buhlen um Fabriken. Restriktionen für Beteiligungen oder Exporte zählen ebenfalls zu den Instrumenten. Habeck hat schon deutlich gemacht, dass er sie stärker nutzen will. Im Herbst untersagte das Kabinett den Verkauf der Chiphersteller Elmos und ERS Electronic an chinesische Investoren. Auch die Beteiligung der chinesischen Reederei Cosco an einem Hamburger Hafenterminal wollte das Wirtschaftsministerium untersagen. Das Kanzleramt ermöglichte Cosco jedoch eine Minderheitsbeteiligung. Wie auch schon zu Zeiten Angela Merkels ist die Schaltzentrale der Regierung auf gute Beziehungen zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner bedacht.
Doch es dürfte schwerer für Olaf Scholz werden, diesen Kurs beizubehalten. Die Vereinigten Staaten machen keinen Hehl daraus, dass sie China von westlichen Hightechprodukten abschneiden wollen. Amerikanische Unternehmen dürfen beispielsweise keine Halbleiter mehr an Huawei liefern. Die Biden-Regierung drängt westliche Verbündete, es ihr gleichzutun. Mit Erfolg, wie das Beispiel Niederlande zeigt. Der dort ansässige Technikkonzern ASML wird künftig noch weniger Geräte zur Chipherstellung an China liefern dürfen als heute schon. Dies trifft mittelbar auch die Zulieferer, darunter zwei bekannte deutsche Unternehmen: Trumpf und Zeiss. Es gibt einiges zu besprechen für Habeck in Washington.“
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